Die Geschichte meiner kranken Gedanken

Bin noch nicht zu alt, zweifelsohne, trotzdem kann ich das Gefühl nicht verdrängen, so leer gelebt zu sein. Hatte große Träume, die wunderschönsten Träume von der Liebe und vom Glücklich sein. Doch all das, was mir jetzt geblieben ist, ist die Angst vor dem Hoffen, weil es jedes Mal das gleiche Ende gibt. Muss wohl einfach nicht dafür geboren sein, geliebt zu werden. Dabei ist es das Einzige was ich kann, Liebe zu schenken und es ist auch das einzige, was ich will. Fühle mich wie ein Mensch, dessen Leidenschaft das Singen ist, und dem die Sprache beraubt wurde – oder wie eine allzu vorsichtige Mutter, der das Kind trotz dessen weggelaufen ist, direkt vor ein Auto.

Hilflos, habe Angst vor jeder Bewegung, die mich weiter an den Abgrund meines Selbstmitleids treibt. Habe ich Selbstmitleid? – es ist wohl so!

Ob es berechtigt ist oder nicht, kann ich nicht einschätzen, spüre nur, wie es weh tut, tief in mir drin. Das Gefühl im Herzen, etwas zu fühlen und es doch eigentlich nicht zu dürfen, ist wie ein Bohrer, der immer schön abwechselnd nach rechts und links bohrt und immer weiter rein, Stück für Stück, langsam aber stetig. Dabei wünsche ich mir nichts mehr, als zu lieben und geliebt zu werden. Mittlerweile würde ich alles dafür tun, denn, dass ist es, was mein Leben erst lebenswert machen würde.

Habe oft nach Schuldigen gesucht, aber nie einen anderen als mich selbst gefunden. Wahrscheinlich fühle ich zu viel und liebe zu stark, so wurde es mir gesagt, und, so ist es wohl auch. Alle nannten es „Einengen“, für mich war es grenzenlose Liebe. Jeder Wunsch, auch jeder Traum erschien mir nicht unerfüllbar, ebenso ist es der größte Unfug, alles zu verzeihen, alles zu ertragen, ich hätte alles getan…
Wollte doch nur lieben und liebe auch heute noch – viel zu sehr.

Hatte schon immer den siebten Sinn dafür, mir die Falschen auszusuchen. Die, die mich nie lieben können, oder sind einfach nur alle falsch für mich? “Jedes Töpfchen hat sein Deckelchen”, beruhigt mich schon lange nicht mehr. Wie auch, wenn man zweimal den Himmel auf Erden vor seinen Augen hatte und einem nie gewährt wurde, ihn zu betreten. Durfte das Paradies hinter diesem Tor erblicken und meine Hand hindurch strecken, doch mehr!?, nein, mehr war nicht gestattet.

So sitze ich weiterhin an meinem Bahnhof und warte auf den Zug ins Glück. Es fahren viele Züge vorbei und wenn ich hinein blicke, sehe ich, die lachenden Leute, die sich lieben – die glücklich und zufrieden sind. Bilde mir ein, dass es ihnen Spaß macht über mich zu tuscheln, mich dort sitzen zu sehen.

Doch das, was am meisten weh tut ist die Tatsache, dass ich nur leere Bänke sehe, egal wohin ich schaue. Fühle mich wie ein Vergessener zwischen den Welten. Der einen Welt, voller Realität und der, in der das Träumen zählt. Warum haben andere den Weg daraus gefunden, warum nicht ich? Was mache ich falsch? Wieso habe ich die Liebe nicht verdient?

Sehne mich so sehr danach, jemandem zu sagen, wie sehr ich ihn liebe. Möchte das verliebte Glitzern meiner Augen zeigen und in des anderen Augen den Wunsch sehen zu dürfen mich zu begehren. Aber ich fühle mich wie im falschen Film … eigentlich wollte ich in einen Liebesfilm, der voller Kitsch trieft – doch irgendwie bin ich in einer beschissenen Komödie gelandet.

Das alles macht mich traurig, doch viel mehr packt mich das Gefühl von Wut, Wut darüber, machtlos zusehen zu müssen, erbärmlich dazustehen und zu warten, lächerlich voller Liebe zu sein, sich danach zu sehnen, eine Hand auf den Wangen zu fühlen, die Lippen eines anderen küssen zu dürfen und mir zu wünschen, „ich liebe Dich“ ins Ohr geflüstert zu bekommen.

Es sind doch nur Momente des Glücks, egal ob sie erlogen sind oder nicht. Will aber nichts von meiner Naivität wissen, will mich in Utopien laben, von mir aus auch an erlogenen Wörtern ersticken, nur nichts von der Lüge. Lange hatte ich gedacht, Schweigen würde mir die Wahrheit verhüllen; einfach nicht hinsehen, zu dem, was offensichtlich ist. Aber es war falsch, weil die Enttäuschung so auf sanften Pfoten herangeschlichen war und die Hoffnung letztlich qualvoll erstickt ist.

Auch Reden ist nicht richtig, in meiner Verbohrtheit suche ich nach jeder Nadel im Heuhaufen – und werde fündig, drehe jedes Wort herum, das es vielleicht eine positive Bedeutung haben könnte. Das läuft dann wohl auf dasselbe hinaus.

Fühle mich, als wenn ich langsam ausblute und das Leben mir langsam entschwindet, aber dass alles dauert mir viel zu lange, würde lieber wollen, dass es mir aus meinen Gefäßen rausplatzt, schnell und schmerzvoll, dafür mit einem Ende, das mir gewiss ist.

Vor langer Zeit bin ich von einer Klippe gesprungen, ohne zu sehen was unten ist und bilde mir immer noch ein, dass ich galant im Wasser landen könnte, obwohl unter mir schon genau die spitzen Felsen zuerkennen sind, die mein Schicksal vorherbestimmen.

Es macht mich wahnsinnig, es hört einfach nicht auf, weh zu tun und ich beginne zu hoffen, endlich unten anzukommen.

… und schlafen kann ich auch nicht mehr.

 

© Gerd Gross_ 12.11.2000_D