Vater

 
  Lieber Vater,



ich war „zu Hause“ oder besser gesagt bin ich durchgefahren. Es war ein warmer Tag im August, die Sonne stand hoch, doch mir wurde kalt. Ich schloss die Fenster, als ich langsam die alte Strasse entlang fuhr. Sie haben die alten Häuser neu verputzt und die Vorgärten waren gepflegt, wie eine uralte Frau in einem jugendlichen Kleid. Gardinen schoben sich beiseite und alte Männer und Frauen schauten heraus erinnerungsjung und ich sah den alten Geist des Dorfes aus ihren Augen. Der Geist, Wächter des Fluchs und er ließ mich schaudern und ich ward klein und hilflos, die Kälte der Erinnerung ließ diesen Augusttag verblassen. 
Sie haben unser altes Haus weggerissen und einen beigefarbenen Klotz draufgesetzt und Familien wohnen darin. Auch eine geschiedene Frau mit drei Kindern, kurz sah ich die Augen der Frau, sie waren traumschwanger. Doch wusste ich, dieser Boden lässt nur totgeborene Träume zu, auch nach all den Jahren. Langsam wendete ich den Wagen uneilig, den Blick nur auf die Strasse geheftet verließ ich den Ort und wurde schneller und schneller, als würde ich vor meiner Vergangenheit fliehen. 


Vater, diese alte Zeit lastet schwer auf mir, da sie ein Teil von mir ist, der Fluch, die Ablehnung und der Selbsthass dieses Dorfes hinterließ seine Narben auf der Kinderseele. Ich weiß, du konntest den Anblick deiner totgeborenen Träume nicht ertragen, hast resigniert und aufgegeben und deine lebend geborenen Kinder den Schutz des Vaters entzogen.

Aber es war dein Leben und somit deine Entscheidung. Und ich bin, was ich bin, durch das was war, durch den Weg bis zu diesem Brief, ich hege keinen Groll mehr gegen dich. Jeden Tag stelle ich mich dem Leben, seinen Prüfungen, drehe meine Brust entgegen dem Sturm der versucht meines Vaters Sohn nieder zu reißen. Und schafft er es doch und ich breche weinend zusammen ( du kennst die Wucht mit der das Leben auf einen prallt ) stehe ich auf, stärker denn zuvor. 


Vater sei stolz, ich liebe dich und dankbar, dass du mich gezeugt hast, denn für diese Welt kannst du nichts. Stärke wächst, wenn man Schwäche akzeptieren lernt.
Ruhe sanft. Ich denke an dich.



Dein Sohn



© Jens-Uwe Papenfuß_ 2005_D